"Malerei ist immer wieder ein Ort, wo durch den Akt des Sehens die Farbe ihre erstaunliche Komplexität enthüllt." Joseph Egan 1999
Im Mittelpunkt der Arbeiten steht die Auseinandersetzung mit der Malerei: aus Überlagerungen zahlreicher Farbschichten werden Räume aufgebaut, deren Abgrenzungen sich oft in farblichen Unschärfen verlieren. Die Arbeiten treiben zwischen Illusion und Objekt und spielen oft mit der Assoziation des Gegenständlichen. Annäherung versus Abgrenzung einzelner mehr oder weniger konkreter Formen, die zum Teil in der Oberflächenstruktur versinken. Ein Spiel mit Unter- und Übermalung sowie mit pastosen Flächen und flüchtigen Pinselstrichen - aus diesen Komponenten entwickelt sich eigener Kosmos, in dem sich amorphe und klare Formen abwechseln. Der räumliche Zwischenbereich erhält Tiefe, wird zum Träger aber nicht zum Inhalt und lässt Assoziationen zu, indem sich der Betrachter selbst zu finden vermag.
Die Ausstellung mit dem Titel "Gegenläufe" spannt einen Bogen über Arbeiten des Jahres 2010, mit einem Schwerpunkt auf Papierarbeiten. der Titel "Gegenläufe" bezieht sich auf einige Aspekte innerhalb der einzelnen Arbeiten als auch in der Gegenüberstellung unterschiedlicher Bildgruppen - ein Wechselspiel diverser Bildformate, aufeinander sowie auf die Gegebenheiten des Raumes reagierend. Thema sind räumliche Auslotungen und Eingrenzungen. Ein zentrales Motiv ist das des Gitters, einerseits als Raster oder Netz von einer gewissen Ordnung geleitet, spannt sich der Bogen über freie Verformung bis hin zur Auflösung im Rinnsal. Das Gitter neben seiner kompositionellen Funktion auch ein Synonym für Ab - bzw. Ausgrenzung, der Käfig - eine Einschränkung oder ein Schutz - für den Betrachter liegt darin die Zweischneidigkeit seines Beobachtungspunktes, denn entweder richtet sich der Blick in einen Raum oder der Blick aus einem Raum. Wie auch der Aspekt des "davor oder dahinter". Dies führt wiederum zu einem wesentlichen Punkt in den Arbeiten zurück, dem Miteinander oder Gegeneinander von Unter- und Übermalung, Form und Raum und amorph und konkret in den einzelnen Arbeiten und so zurück zum Ausstellungstitel und dem oben stehenden Zitat.
Dem Raum entronnen. Eine Brücke, zwei Schiffe, ein Sonnenuntergang. Des weiteren eine unspektakuläre Häuserfront, darunter eine rote Fläche darüber eine gelbe Fläche. Ein Ausblick aus zwei Fenstern auf ein Hochhaus und einige Dächer: Was sich so lapidar in der Beschreibung der Arbeiten von Arno Popotnig beginnt, entpuppt sich bei näheren Hinsehen als ein ausgeklügeltes und spannungsreiches Wechselspiel von Malerei und Fotografie, Formen und Flächen, von Licht und Schatten, Dichte und Leere, von Raum und Nichtraum.
Popotnig, bisher durch seine kräftige farb- und formstarke Malerei bekannt, fotografiert schon seit längerem, doch dienten diese Fotos bislang eher zu Studienzwecken. Der Künstler verstand sie als Fragmente, mit deren Hilfe die eigene Wahrnehmung geschärft werden kann. Für die Ausstellung -Transgression- wählte Popotnig aus diesem Konvolut Motive, die er in New York gefunden hatte. Das Bühnenbild wirkt auf den ersten Eindruck derart impressionistisch, daß es scheinbar keiner weiteren Betrachtung bedarf. Doch der Sonnenuntergang entlarvt sich bei näherer Betrachtung als Fleckerlteppich von locker hingestreuten turneresken und cezannesken roten und gelben "taches", die das zugrundeliegende Geschehen als Farbschleier überlappen, negieren und transformieren. So wirkt die dunkle Fläche des Wassers lasierend; die Verstrebungen der Hängebrücke als lineare Abstraktion und die Schattenrisse der Schiffe mutieren zu Verdichtungen geometrischer Formen. Durch diesen malerischen Eingriff wird jegliche, dem Foto zugrundeliegende tiefenräumliche Wirkung zugunsten einer direkt erfahrbaren Nicht-Räumlichkeit aufgehoben.
Die fotografierte Räumlichkeit wurde zugunsten der malerischen Gestaltung demontiert. Dieses Verfahren entfaltet seine Dynamik durch die kontrastreiche Gegenüberstellung von statischen vertikal gesetzten, gelben Farbflecken im oberen Drittel einerseits und einer horizontal fließenden, roten Akzuentuierung im unteren Drittel des Bildes andererseits.
Es beginnt ein Wechselspiel zwischen Davor und Dahinter, Darunter und Darüber, Davor und Danach, das die Wahrnehmung des Betrachters zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen hin und herspringen läßt. Klassische Topoi der Malerei wie Historienbild, Landschaft, Stilleben oder Portrait werden auf mannigfaltige Weise variiert und interpretiert. Zahlreiche künstlerische Positionen - etwa Gursky, O'Brian, Becher, Becker oder Ruff - liegt ein Verständnis zugrunde, das Fotografie als Dimension der Malerei begreift.
In gewissem Maß ist dies auch bei Popotnig zutreffend, denn seine Fotographien sind im besten Sinne des Feinningerschen Lehrbuches ausgewogen komponiert und beweisen ein ausgezeichnetes Gespür für Komposition, Form und Raum. Wie in den kurzen Beschreibungen erkennbar wurde, ist jedoch das dem Künstler eigene Verständnis von Räumlichkeit auffallend: ein Verständnis, das ebenso in der Malerei wie in der Fotografie denTiefenraum negiert. Schattenhafte Schemen der Schiffe gamahnen an Scherenschnitte, an ein ornamentales Bild, an strukturelle Muster.
Ebenso wie Popotnig seine fotografischen Ausschnitte als Mittel der malerischen Komposition einsetzt, verstärkt die Betonung des Nicht-Raumes die malerische Qualität der Oberfläche. Obwohl die "Hybridisation", wie Stefan Berg die Kreuzung von Fotografie und Malerei nannte, den Anschein des Ungewönlichen in sich birgt, bleibt Popotnig seiner Bildsprache treu. Doch stellt er der "Reduktion der Malerei als hybride Mischform zwischen fotografischen und gemalten Bild", wie sie Jean-Francois Chevrier am Werk von Jeff Wall aufzeigte, seine eigene Malerei als dynamisch prozeßhafte und assoziative Akzentuierung des malerisch komponierten fotografisch Momenthaften entgegen und bereichert die Begenung von Fotografie und Malerei um eine neue Facette.
-through metaphor to reconcile / the people and the stones,/Compose.(No ideas / but in things.) Invent / Saxifrage is my flower that splits / the rock.
- Menschen und Stein versöhnt / allein die Metapher./ Stell zusammen. (Gedanken sind nur in Dingen.) Erfinde! /Steinbrech ist meine Blume, die sprengt / den Fels.
William Carlos Williams (1883-1963)
Maler, die einen Apfel neu erschufen, eine Melone oder einen Kohlkopf "dachten" haben sich stete in das versenkt und eingebunden, was sie dazu brachte, der Außenwelt entgegenzusetzen, was sie in ihrem Innern speicherten.
Und beispielsweise dazu veranlasste, der Gestalt eines Steins, eines Gewächses, einer Frucht abzulesen, wovon sie in ihrem Kern bestimmt erscheint.
Dem Künstler ist ein derartiger, mit Deduktion und Reduktion verbundener Vorgang so geläufig, wie er anderen die Erklärung der Welt mittels Gleichungen und Formeln ermöglicht, wenn sie ihren Blick durch Mikro- und Teleskope vom Kleinsten zum Grössten richten. Am Ende geht es darum, ein Ding zu erschaffen (zu erfinden), das als Extrakt alle anderen Dinge in sich einschließt.
Zu Arno Popotnigs fortgesetzten Versuchen, einem Stück Malerei einzuschreiben, was sich in ihm an "Impressionen" innerer, von außen gespeister, geleiteter Natur aufgestaut hat, könnte einem Bram van Felde (1892-1981) einfallen.
Den werden heute wohl nicht mehr viele in Erinnerung haben. er sagte aber, dass uns die Malerei "in das Unbekannte des eigenen Ichs hineingleiten" lasse. Wie Samuel Beckett war er besessen von "dem Ding, dem Ding immerzu, irgendwo", das es zu finden galt, das einzukreisen war.
Seinerzeit, als Bram van Felde sich "aus tausend Stücken" zu bestehen empfand, wobei ihn das Malen "gewissermassen wieder zusammen" füge, sprach auch Marcel Orion (in einer nach wie vor lesenswerten "Geschichte der abstrakten Malerei", 1956) von diesen Dingen. Und von einem uralten Bestreben, an ihrer Stelle - also für Steine, Gewächse, Früchte - "Zeichen" zu erfinden und ihnen eine echte Ausdruckskraft zu geben, "aus ihnen wirklich Dinge der Schönheit voll innerer Bedeutung zu machen".
Von der "Schönheit" zu sprechen - wobei es ja viel Schönes auch im vermeintlich Hässlichen gibt - ist schwierig geworden; sie auf anderen Wegen zu suchen als auf den abgegangen und versumpften, ebenfalls, dafür aber notwendig. Das wußte auch van Felde, wenn er sagte, "die wahre Malerei" wolle "Hässlichkeit und Verrücktheit". Etwas davon ist natürlich auch Popotnig vertraut. In der Hauptsache tendiert er aber dazu, im Dialog mit den Dingen und ihren biomorphen Erscheinungen eine Semantik analog zu Stein, Gewächs und Frucht zu entwickeln. So spürt er der Essenz jener Gebilde nach, die er auf seinen Bildern quasi kartographiert.
Woran dieser Maler anschließt, ist unschwer zu erkennen - zumindest lässt es sich assoziieren: Jenes "Stückgut", das sich in seinen Bildern mitunter wie auf einem gedeckten Tisch und die Zeremonien um ihn ausnimmt. Was sich auf seinen Tafel versammelt, erlebt jedoch zahlreiche Metamorphosen, wodurch Frucht und Laib, Knospe und Blüte als das gabenartig Arrangierte stufenweise überwechseln zu eigenen "Wesen" in zahlreichen Mutationen von Dunklen ins Helle oder umgekehrt: In Verschwisterungen, wechselnden Verläufen bis zum Amorphen und Arabeskenartigen, das dann wieder zur kompakten Form drängt.
Introspektion, verhalten expressiv, vergleichsweise weich, amphibisch, beginnen die zum Zeichen verwandelten Dinge ihr Gewicht zu verlieren und dabei an Substanz zu gewinnen. Sie geraten in ein gleitendes Schweben und Schwingen, aus dem sich auswintert, was seine Schatten himmelwärts ausbreitet und zugleich einer opalen Erdigkeit zugeführt erscheint. Dazwischen wehen über entkörperten Körpern Horizonte bildende tuchartige Farbnebel als Hülle und Verhüllung in sich staffelnden Verbindungen wie Riffe oder Felsen. An ihnen schlagen wellen auf, die in nie erstarrenden Bewegungen neue Formen herausspülen. Sie umkreisen ein Geheimnis, denn "... wir alle",sagte Henri Michaux, "wir suchen das Grosse Geheimnis".
Was Erinnerung, Beobachtung, Erkenntnis und Phantasie an Popotnigs Bewusstsein herantragen - tatsächlich fügt sich mitunter wie Schwemmholz aneinander, was er aufliest und aneinander fügt -, dem sucht er eine seiner inneren Vorstellung von "Figur" adäquate Struktur zu geben. Die einzelnen Elemente, Stücke, Phantome wandern, nähern sich einander an oder beziehen eine bestimmte Position. Ist sie erreicht, gleiten sie aus ihr auch wieder heraus und entwickeln aus ihrer Bewegung eine Art stehenden Fließens, ein Fliessgleichgewicht in dämmrigen Farben und Verschichtungen, die ein doppeltes Leben bezeugen. Das eine entspringt der direkten Anschauung oder den aus ihr herausgefilterten Komplexen, das andere der Imagination, die aus dem Zusammenfluss der Dinge Blütenartiges herauswachsen lässt.
Es besteht aus einer Masse, aus Luft und Licht, und es wechselt sein Gesicht zwischen Tag und Nacht, erzeugt eigene Landschaften ohne Anfang und Ende. In ihnen bilden sich Falten aus, die jene Partikel bergen, aus denen sich dann andere teppichartig ineinander verwobene Bildeinheiten gewinnen lassen. So werden die Dinge zwischen dem einen oder dem andern in Bewegung gehalten, bis sich wieder Anderes einstellt - voll innerer Bedeutung.
.... Arno Popotnig nennt sein Arbeiten ein Agieren am fließenden Übergang von Zeichnung und Malerei. Seine Bilder basieren auf der Poesie der Geste, einer gesicherten Position der internationalen Nachkriegsmoderne. Dennoch haben sie mit Informel und Action Painting wenig zu tun, eher mit Beobachtungen über Zeichenhaftes, das weniger Abbreviatur als Fragmenthaftigkeit transportiert.
Popotnigs Pinselzeichnungen scheinen vor einem weißen raumlosen Grund zu schweben, eine Art Niederschrift, geschaffen aus dem Handgelenk heraus. Offene Farbbahnen und die Zeichnung verschränken sich, schließen sich zu roten, blauen und gelben, oft schwarz unterlegten Konfigurationen. Sie bilden Formen und Zeichen, die archaisch anmuten. Sie scheinen etwas zu versprechen, das sie nicht klar benennen. Solche zwitterhaften Formbeschreibungen durchziehen seit jeher Popotnigs Euvre. Sie entstehen aus der Variation, werden laufend überlagert, vom Künstler verändert und modifiziert. Es wirkt manchmal wie ein scheinbar zeitloses Wiederholen, analog den endlosen Wellengängen und den immer wiederkehrenden Schauspiel der Schaumkronen in der Gischt des Wassers. Sofern die einzelnen Zeichen sich überhaupt an den Betrachter wenden, überlassen sie die Möglichkeit einer Interpretation seiner Assoziationsbereitschaft.
Was sich bei aller Verschlossenheit in lukullischer Breite darbietet, ist nicht "analytische" Malerei, nicht Agieren im Sinn von Malen über Malen. Schon gar nicht entstehen Popotnigs Bilder - wie etwa bei Selichar- als referentielle Statements unter den Gegebenheiten des erweiterten Kunstbegriffs und moderner Rezeptionsbedingungen. Die Konzeptkunst hat darauf verwiesen, die Bildwahrnehmung sei nur Mittel zum Zweck. Wo sie in kathartischer Absicht zu dem reinen, eigentlichen Bild finden will, das darunter liegt, finden wir bei Popotnig Individium und subjektive Malerei im Austausch.
Die Einzelformen sind Teil eines großen Ganzen. Über die Dialektik von Figur und Grund geben sie sich auf dem papierenen Weiß beliebig fortsetzbar wie eine Schlaufe ins Unendliche.
Die Formen scheinen arabeskenhaft, sind individuell, doch zugleich austauschbar, untereinander in einem offenen Dialog. Das eine wirkt wie das Echo des anderen, aber es bleibt unentschieden, wie sehr sie aufeinander reagieren. Es scheint wie ein ewiges Umkreisen - von was eigentlich? Woher kommt Popotnigs künstlerischer Drang zur ständigen Wiederholung?
Hat es zu tun mit der Vorstellung des "L'art pour l'art? Voll ausgeprägt tauchen bei Popotnig die auf Papier gebannten Formen erstmals während eines Parisaufenthaltes 1993 auf. In der Konzentration auf den Dialog von Form und Farbe offenbaren sie sich als formale Strategien. Wenn sich Popotnig im Zwischenbereich von Papier, Farbe, Pinsel und Phantasie bewegt, ist es ein Sich-Treiben-Lassen im unerschöpflichen Terrain von Ornament und persönlicher Mythologie. Unter der Oberfläche des Sensualismus gärt und brodelt es. Fast scheinen die Zeichen und Bilder wie Tagträume, angesiedelt in einem Reich, wo sich Erzählerisches mit spielerischen Einfällen und struktureller Kontrolle trifft. Durchgehende Momente der Verweigerung aber bringen einen Gesamtton zum Klingen, von dessen Kontinuität nicht mit Bestimmtheit zu sagen ist, ob der Weg oder die Variation das Ziel ist. So scheinen also Popotnig Bilder und autonome Figurationen sich selbst genug, auf der Suche nach dem Ich. Kunst als individueller Ausdruck eines "autonomen" Subjekts. Weniger "construct yourself" als "express yourself"?.....